Elena Becker MA

Das politische Drama oder: (informale) Stereotypie

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Bundeskanzler O. Scholz will mit der Industrie eine Pakt schließen, den der SPD- Politiker quasi auf eigene „Faust“ aushandeln will.

Bei diesem „informalen“ Treffen sollen die Vertreter der Grünen wie der FDP ausgeschlossen bleiben.

Scholz will damit verhindern, daß die Verabredungen nicht nur nach eigenen Worten: bloßes Theater bleiben.

Der ukrainische Präsident Selenskyj zeigte sich enttäuscht darüber, daß Details aus seinem „Siegesplan“ in die Medien gelangten.

Wegen einseitig vorteilhafter Darstellung zugunsten des ehemaligen britischen Repräsentanten Sunak verklagt die neue Regierung Großbritanniens den dafür verantwortlichen TV- Sender.

Auch der republikanische US- Präsidentschaftskandidat Trump kündigte an, gegen den Sender des TV- Duells vorzugehen, weil dieser die Demokratin K. Harris begünstigt habe.

In der statistischen Bilanz ist die Zahl der Personen, die in Deutschland bei einem Polizeieinsatz zu Tode kamen, „dramatisch“ angestiegen.

Die, allerdings exakte Aussagekraft der veröffentlichten Statistiken, die die Anzahl derartiger Todesfälle belegen, besteht u.a. darin, daß ihnen kein -juristisches- Verfahren vorausging. Aber trotz ihres „dramatischen“ Charakters spielen sie im Szenario des -politischen- „Dramas“(N. Luhmann)1 nur eine nebensächliche „Rolle“, die allenfalls kurzfristig zum -informationspolitischen- „Thema“ wird.

Allein diesen Aspekt teilen die -tödlich verlaufenen- Vorfälle mit der -Niklas Luhmann („Legitimation durch Verfahren“)- „sinnkonstituierenden Prämisse“(ebd. S. 195), die das „politische System“(ebd.) als solches bezeichnet, das selbst in gewisser Weise „un-thematisch“(E. Husserl) bleibt.

Vom Standpunkt des „Strukturalismus“(G. Deleuzes´) ausgedrückt, durchlaufen diese -pathologischen- Vor(-Un-)fälle wie das konkrete politische System die „Strukturordnung“(G. Deleuze)2 wie ein „Nullpunkt“(ebd. S. 45), ein „blinder Fleck“(ebd.) oder, mit Jacques Lacan: „Platz des Toten (sic)“(ebd.).

Dieser „absolute Ort“(ebd. S. 44), wie Gilles Deleuze in „Woran erkennt man den Strukturalismus?“ diesen symbolischen wie auch historisch mit der „Französischen Revolution“ und der „Ermordung“ des -französischen- „Königs“ korrelierten „leeren Platz (des Königs)“(ebd. S. 45) nennt, ist aber kein „statischer“ Ort, sondern ein dynamischer. Er „zirkuliert“(ebd. S. 44) in der „Struktur“, während er sich und die restlichen Verhältnisse -“relativ“(ebd.)- zu sich beständig „verschiebt“(ebd.).

In der -differentiellen- „Axiomatik“(ebd. S. 22) dieser „Struktur“ konstituiert sich die -“Bestimmung“- der („symbolischen“, ebd.) „Elemente“(ebd.) gegenseitig (ebd.), in dem sie mit sich (einander) „symbolisieren“(ebd.) und „korrespondieren“(ebd.).

In diese -mathematisch- „differentiellen Verhältnisse“ das (sog.) „Unbewußte“(ebd.) oder - „psychosomatische“(ebd.)- Motoriken einzuführen heißt ebenso viel wie, in die -Theorie- der „Naturgesetze“ des 18./ 19. Jahrhunderts, die der Liberalismus als „Laisser- faire“ (J. Dewey. Die Suche)3 interpretierte, eine -menschliche- Aktion, Intention oder -politische- Motivation zu implementieren.

Diese naturalistische Theorie des 19. Jahrhunderts sah vor, daß sich der -“frei“ handelnde- Mensch quasi konform zur - „Ökonomie“(Dewey, S. 212)- der „Naturgesetze“ verhielt und faßte jede -“regulierende“(ebd. S. 213)- Handlung als unwillkommenen „schädliche(n) Eingriff“(ebd.) auf. Diesen Manipulationsverdacht kann der Pragmatismus John Deweys („Die Suche nach Gewißheit“) nicht gelten lassen.

Umgekehrt ist John Dewey in „Die Suche nach Gewißheit“ der erklärten Auffassung, daß sich die, Dewey:“Lehre, die Natur sei inhärent rational“(ebd. S. 232) mit Dewey: „lähmend“(ebd.) auf das menschliche Handeln ausgewirkt habe.

Dewey war es dabei aber nicht daran gelegen, das -“politische“(ebd. S. 213)- Handeln zu rehabilitieren und als Funktionselement mit der Natur oder -freien- „Ökonomie“(ebd. S. 212) wieder ins Benehmen zu setzen.

Zudem relegiert der Pragmatist Dewey den Faktor der „sozialen“, „ökonomischen“, „politischen“ Praxis und „Intervention“(ebd.) auf das Prinzip der -wissenschaftlichen- „Intelligenz“(ebd.), die für den Pragmatisten den -Platz- der klassischen „Vernunft“(gr. „nus“) einnimmt und deren -“Bedeutung“(ebd.)- erhält.

Dazu stellt John Dewey fest:

“Wenn man so spricht, hat `Vernunft´ die technische Bedeutung, die ihr in der klassischen philosophischen Tradition gegeben worden ist: der nus der Griechen, der intellectus der Scholastik. In dieser Bedeutung bezeichnet Vernunft sowohl eine inhärente unwandelbare Ordnung der Natur, deren Charakter überempirisch ist, wie auch das Organ des Geistes, mit dem diese universale Ordnung begriffen wird. In beiden Hinsichten ist die Vernunft mit Rücksicht auf die sich wandelnden Dinge der letzte fixierte Maßstab- das Gesetz, dem physische Phänomene gehorchen, die Norm, der menschliches Handeln gehorchen sollte.“(J. Dewey. Die Suche nach Gewißheit. S. 213)

Allerdings ist Dewey nicht gewillt, dem wissenschaftlich-technischen Intellekt und seinem -sprachlichen- „Diskurs“(J. Dewey. Erfahrung)4 dieselbe „ideale“ Bedeutung(ebd.) zuzuerkennen wie das griechische Denken der „kontemplativen“ (theoretischen) Vernunft und der Sprache beimaß.

Im Hinblick auf das Element der Sprache und den Diskurs erkannte Dewey außerdem die Sprache in ihrer -konstitutiven- Rolle als „Vermittler“5, in der sie nicht auf die -Funktion- eines „mechanischen“(ebd.) Hilfsmittels beschränkt blieb, sondern zudem eine „intellektuelle Bedeutung“(ebd.) erhielt, die für Dewey aber nur im Kontext und als Ergebnis „sozialer Interaktionen“(ebd.) generiert wird.

Folglich entspringt diese „intellektuelle Bedeutung“ des menschlichen Denkens und Handelns nicht einem -monologischen- Selbstgespräch oder -bloßem- Zusehen, sondern dem -Dewey („Erfahrung und Natur“)-: „Drama“(ebd. S. 171)- rollenspezifischen Handelns.

So stiftet das „Drama“ der menschlichen -sozialen, reaktiven- Interaktionen, nicht die „Introspektion“(ebd. S. 179) oder -theoretische- Selbstreflexion für Dewey die basale - „Struktur“(sic; ebd. S. 171)- des „Diskurses“(ebd.) wie des „Geistes“(ebd.).

„Durch Sprechen“, erläutert Dewey in „Erfahrung und Natur“,

„identifiziert sich eine Person dramatisch mit potentiellen Handlungen und Taten; sie spielt viele Rollen, nicht in aufeinander folgenden Stadien des Lebens, sondern in einem gleichzeitig ablaufenden Drama. Auf diese Weise entsteht der Geist.“(J. Dewey. Erfahrung und Natur. S. 171)

Diesem -Drama- eines handlungsorientierten und „solidarischen“(ebd.) Rollenverhaltens, nicht einem (sog.) „Phantasma“(P. Klossowski/G. Deleuze) des -repräsentationalen- Denkens, das dem „Ereignis“(G. Deleuze) bereits, mit G. Deleuze („Der Faden ist gerissen“), ein „Zuviel“6 ist und darstellt, entstammen die „Formen“ oder -Pierre Klossowski („Sprachen des Körpers“):- vorgeformten „Stereotype“7 des -sprachlichen- Handelns und Denkens.

Der Strukturalismus Gilles Deleuzes setzt dem -pragmatischen- „Drama“ in „Der Faden ist gerissen“ ein anderes -dualistisches- Verhältnis von „Phantasma“ und -ereignishafter- Realität entgegen, das sich in einem „absoluten Denken“(Deleuze, ebd. S. 35) - „theatralisch“- ereignen und (per-)formieren soll.

„Denken“, exponiert Deleuze,

„hieße das Phantasma im Schauspieler(sic) einmal wirklich werden zu lassen; denken hieße, das Ereignis unendlich machen, damit es sich als das universelle Einzige [„stereotypisch“] wiederhole. Absolut denken hieße also, das Ereignis und das Phantasma denken. Ja: wenn das Denken das Phantasma theatralisch zu realisieren und an seiner äußersten Spitze das universelle Ereignis [des „Todes“, Deleuze] zu wiederholen hat, dann ist dieses Denken selber das Ereignis, das dem Phantasma zustößt, und die phantasmatische Wiederholung des (abwesenden) Ereignisses.“(G. Deleuze. Der Faden ist gerissen. S. 35)

Unter diesem „(A)bwesenden Ereignis“ - des „Sterbens“(des „Antonius“; ebd. S. 30) oder „Todes“(ebd.)- ist für den Strukturalisten so nicht mehr ein -der- „Signifikant“ einer vergangenen Ordnung wie der „Welt der Zeichen“(ebd. S. 14) oder der „Repräsentation(en)“(ebd.) und schließlich der „Identitäten (und Differenzen)“(ebd.) zu verstehen, über die etwa in deCervantes´ Roman „Don Quichotte“ eine -negative- „Bilanz“(ebd.) gezogen wird. Genauso wenig wäre es mit dem -Platz- des „Königs“ zu identifizieren, der -strukturalistisch- leer bleibt und nicht mit dem (denkenden) Menschen ausgefüllt werden kann, der fähig wäre, die „Natur“(ebd. S. 158) selbst zu „repräsentieren“(ebd.).

Solange man außerdem im „Bereich der Mitteilung“(Klossowski, S. 23) am Begriff des „Phantasmas“ festhält, das „geheimnisvoll“(ebd.) und -quasi- transzendent erscheint, wandelt sich dieses unter einem „phantasmatischen Zwang“(ebd.) in das „Stereotyp“(ebd.), das, indem es „degradiert“(ebd.) wird und so „institutionelle Reaktion“(ebd.), „Reflex“(ebd.) geworden ist, mit P. Klossowski, „[offen] verbreitet und einer allgemeinen Interpretation überlassen“(ebd.) wird, in der das Stereotyp, wie Pierre Klossowski kommentiert:“seine Fähigkeit der geheimnisvollen verdunkelnden Interpretation“(ebd.) beweist.

Das „Stereotyp“, das P. Klossowski als „Ablagerungs“-produkt (ebd. S. 22) der „Repräsentation“(ebd.) und gleichzeitig:“durch den Gebrauch schematisierte Form“(ebd.) definiert, profanisiert das (sog.) „Phantasma“ nicht nur. Es erweckt auch den Anschein, die -reine- „Mitteilung“(Klossowski, S. 23) im „Stil“(ebd.) eines Stereotyps zu modifizieren und in-formal zu verändern.

Ob und welche „Äquivalenz“(M. Foucault. Archäologie)8 bei -mehr oder weniger- einfachen (sprachlichen) „Stereotypen“ vorliegt, wäre eine Frage der „stilistischen“ Performanz, die als solche von der „konstativen Funktion“(N. Luhmann. Gesellschaftsstruktur)9 - der „Information“(ebd.)- zu unterscheiden wäre bis hin zur un-begründeten Verdachtshypothese, daß, Niklas Luhmann: „die Mitteilung selbst die Information diskreditiert.“(N.Luhmann. Gesellschaftsstruktur und Semantik I.S. 105)

Historisch zeigte sich das veritable Problem in der Geschichte der politischen Staatsentwicklung des 16./17. Jahrhunderts von der Seite, daß im (sog.) „politischen Text“(Luhmann, S. 108) die -stereotypischen- Staatsformeln der „Normativität“(ebd. S. 108) und der „Legitimität“(ebd. S. 109) jeweils auf ein -neues- Staatsmodell hin „modifiziert“(ebd. S. 108) wurden, wobei die dualen Staatsformeln -“pax et iustitia“( lat: Frieden und Gerechtigkeit; ebd.) in einem -variablen- Luhmann: „Verhältnis wechselseitiger Bestätigung“(ebd. S. 109) verkoppelt wurden.

Erst ab Mitte des 17. Jahrhunderts, in der eine neue geschichtliche Epoche der -Luhmann- „Pazifizierung Europas“(ebd.) erreicht worden sei, ist in der Semantik der politischen (Staats-)Formeln und ihrer -mehr oder weniger absoluten- Bedeutung eine „Zäsur“10 zu beobachten, die von Th. Rabb mit dem Titel „Struggle for Stability“(ebd.) überschrieben wurde und zur Folge hatte, daß die bis dato vorrangigen Formeln zur „Gewaltkontrolle“(ebd.) durch die der „Glückseligkeit“(ebd.) ergänzt oder substituiert wurden.

Auch für Michel Foucault („Archäologie des Wissens“) würde die -formal- „instruktive“(Klossowski, S. 23) Erklärung einer modifizierten „Mitteilung“ im (politischen) Text o.ä. nicht ausreichen.

In „Archäologie des Wissens“ bindet Foucault die -“Identität der Aussage“(Foucault, S. 150)- nicht an die -performative, mehr oder weniger adäquate- Form der Mitteilung, ebensowenig wie an irgendein „stoffliches Fragment“(ebd.) wie „Papier“(ebd.), „Drucktypen“(ebd.) o.ä.

„Nicht ein stoffliches Fragment“, erklärt Foucault,

„sichert die Identität der Aussage, sondern deren Identität variiert mit einem komplexen System von materiellen Institutionen.“(M. Foucault. Archäologie des Wissens. S. 150)

Das -System- der „Institution“, nicht(!) die -spezifischen- Gegebenheiten eines „Ortes“ und einer (Foucault:)“räumlich-zeitlichen Lokalisierung“(ebd.), macht Foucault in „Archäologie“ geltend, bestimmt, Foucault:die „Möglichkeit der Re-Inskription und der Transkription“(ebd.) einer -informalen- Aussage.

Die „Identität einer Aussage“(ebd.), etwa in einem -Text- der „Verfassung“(ebd.) oder einer Foucault:“mehr oder weniger kohärenten Doktrin“(Foucault. Analytik)11 der „Regierungspraxis“(ebd. S. 182) wird -damit- also, Foucault:

„einer (zweiten) Menge von Bedingungen und Grenzen unterworfen- denjenigen, die ihr durch die Gesamtheit der anderen Aussagen auferlegt sind, unter denen sie auftaucht, durch das Gebiet, in dem man sie benutzen und anwenden kann, durch die Rolle oder Funktionen, die sie zu spielen(sic) hat.“(M. Foucault. Archäologie. S. 150)

Was sich -unter solchen Bedingungen- in den „Formulierungen“(ebd.) z.B. der kopernikanischen oder darwinistischen Lehre(ebd.) infolge der Interkontextuierung geändert hat, ist, Foucault:

“das Verhältnis dieser Behauptungen zu anderen Propositionen, ihre Anwendungsbedingungen und Reinvestitionsbedingungen, von möglichen Reinvestitionsbedingungen, ist das Feld von Erfahrung, von möglichen Verifizierungen, von zu lösenden Problemen, worauf man sie beziehen kann.“(Foucault. Archäologie. S. 151)

Dabei rückt das („stereotype“) Motiv der -gesellschaftlichen- „Solidarität“(M. Horkheimer. Zur Kritik)12 zugunsten einer „pragmatischen“ oder eigen-souveränen Regierungspraxis, die, wie M. Foucault in “Analytik der Macht“ einwendet, „Gefahr läuft, zuviel zu regieren“13 immer weiter aus dem Blickfeld.

Auf der anderen Seite droht jedoch, wie Max Horkheimer in „Zur Kritik der instrumentellen Vernunft“ expliziert hatte, die Gefahr einer -politischen- „Romantik“(Horkheimer, S. 162), der eine -Horkheimer-: „objektive“(ebd.) Vernunft wie in Gestalt des -Hegelschen- „Idealismus“ und „Geistes“ erlag, der den -Geist- der antiken (griechischen) Demokratie mit einer Romantisierung des napoleonischen Staates verquickte.

Ebenso seien, nach Ansicht Horkheimers, die

„Anwälte der objektiven Vernunft(sic) ... in Gefahr, hinter den industriellen und wissenschaftlichen Entwicklungen zurückzubleiben, einen Sinn zu behaupten, der sich als Illusion erweist, und reaktionäre Ideologien zu schaffen.“(M.Horkheimer. Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. S. 162)

Das, so Horkheimer grundsätzlicher:

“bewußte oder unbewußte Motiv, das die Formulierung der Systeme (der objektiven Vernunft) auslöste, war das Bewußtsein der Ohnmacht... im Hinblick auf ihr eigenes Ziel der Selbsterhaltung. Diese (metaphysischen) Systeme drücken in teilweise mythologischer Form die Einsicht aus, daß Selbsterhaltung nur in einer überindividuellen Ordnung erreicht werden kann, das heißt durch gesellschaftliche Solidarität.“(M.Horkheimer. Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. S. 164) E.B.