Elena Becker MA

Beschwörungs-Formel oder: die Negation des Realen

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Zu Beginn des neuen Jahres (2025) „beschwor“ Bundeskanzler O. Scholz den „Zusammenhalt“ der Deutschen -“weil sie (die Deutschen) zusammenhalten“.

Für die deutsche Bundesregierung hat das Kanzlerwort aber einen umgekehrten Sinn, nachdem Bundespräsident W. Steinmeier noch vor Jahreswende die „Auflösung“ des Bundestages sowie Neuwahlen für den kommenden Februar anberaumt hatte.

Für eine getrübte Stimmung zum Jahreswechsel sorgte eine (verbale) Kontroverse zwischen dem politischen Einfluß ausübenden Technikmilliardär E. Musk und dem deutschen Bundspräsidenten(!) Steinmeier, der sich u.a. durch eine Aussage Musks brüskiert fühlte.

Überschattet wurden die Feierlichkeiten erneut von -politisch- motivierten (Terror-)Anschlägen in Magdeburg sowie in New Orleans (USA).

Bei beiden Attentaten, bei denen die Täter jeweils Fahrzeuge als Tatwaffen verwendeten, kamen mehrere Menschen ums Leben.

Der designierte CDU- Kanzlerkandidat F. Merz will nach eigenen Worten möglichst „geräuschlos“(!) regieren.

Der Jahreswechsel ist -wiederholt- die Zeit der „magischen“ Beschwörungsformeln und der „Emotionen“, wie sie jedoch der Existentialist J.-P. Sartre in „Transzendenz des Ego“ am zutreffendsten zu deuten wußte: als ein „beschwörendes Verhalten(sic)“.(J.-P. Sartre. Transzendenz des Ego. S. 296)

Damit beschrieb Sartre eine Situation, wie sie in bestimmten Gefahrenlagen, die „passiv“ erlebt werden, empfunden wird und -umgangssprachlich- in der Redeweise vom „Kaninchen vor der Schlange“ ausgedrückt wird.

In solcher sprichwörtlich gewordenen Schreckensstarre besteht die -psychomotorische- Reaktionsform, die J.-P. Sartre in eine bewußtseins-immanente „zunichtemachende Intention“(ebd.) um interpretierte.

Das ist zumal dann der Fall, wenn sich die -Richtung- des passiven(!) „Fluchtverhaltens“(ebd. S. 297), in dem versucht wird, die -Welt- nach Worten Sartres „als Bewußtseinsgegenstand aus[zu]schalten“(ebd. S. 297), in die, Sartre: „aktive Flucht“(ebd.) umdreht.

Die Richtungsumkehr tritt abrupt dann ein, wenn das „magische“ Verhalten mit Sartre: an die

„Grenzen (meiner) magischen Einwirkung auf die Welt“(ebd. S. 297) gestoßen ist und so für Sartre nur unter der Voraussetzung des Scheiterns des „beschwörenden Verhaltens“(ebd. S. 196) verständlich wird:

„Wir fliehen nicht“, schreibt Sartre in „Transzendenz des Ego“, „`um uns in Sicherheit zu bringen´: wir fliehen, weil wir uns nicht in der Ohnmacht zunichte machen können. Die [passive] Flucht ist eine gespielte Ohnmacht, ein magisches Verhalten, das darin besteht, den gefährlichen Gegenstand mit unserem ganzen Körper zu leugnen, indem wir die vektorielle Struktur des Raums, in dem wir leben, umkehren, indem wir plötzlich eine potentielle Richtung schaffen, auf die andere Seite.“ (J.P. Sartre. Transzendenz. S. 297)

Bis hierhin hat Sartre noch ausführlich die in sich erstarrte, „gebannte“ Reaktionsform beschrieben, in der ein Individuum glaubt, das „wilde Tier“(ebd. S. 296), das auf es zurast, “nicht mehr zu sehen“(ebd.) und es darin „zu vernichten“(ebd.).

Aber dieses un-bewußte Verhalten überträgt sich (quasi) energetisch in die -aktive- Dynamik der (sog.) „Flucht nach vorn“, wie sie Sartre an einem „Boxer“ veranschaulichen will, der zum ersten mal auf einen Gegner trifft.

„Ebenso“, erklärt Sartre,

„stürzen sich Boxer, die Anfänger sind, auf ihre Gegner: sie wollen die Existenz seiner Fäuste ausschalten, sie weigern sich, sie wahrzunehmen und schalten dadurch symbolisch ihre Wirksamkeit aus. So erscheint uns der wahre Sinn der Furcht: sie ist ein Bewußtsein, das über ein magisches Verhalten einen Gegenstand der äußeren Welt zu leugnen sucht und bis zur Selbstvernichtung(!) geht“, `um den Gegenstand mit sich zu vernichten´.“(Sartre. Ebd. S. 297)

Sartres Intention geht aber unausgesprochen über die Explikation der -aktiven- Fluchtreaktion, in der die -Gefahr- der Selbstvernichtung eingeschlossen ist, hinaus.

In dem von Sartre gewählten -konkreten- „Bild“(gr. specima) des „Boxers“ liegt eine Referenz zu einem -symbolischen- Abstraktionsverhältnis, in dem das (sog.) „Konkrete“(Th.W.Adorno) wie in Heideggers ontologischer „Sprache“ nicht über die „Kraft“ eines „beschwörenden Wort(es)“(Adorno, S. 83) hinaus kommt, das selbst abstrakt bleibt.

Das -fehlende- „probandum“(ebd.), in dem das Verhältnis entweder einen sachlichen Bezug verifiziert d.h. unter „Beweis“ stellt oder eine -objektiv- wahre Aussage (Proposition) enthält, die sich auf ein konkretes Seiendes bezieht, ist die Kehrseite einer -M. Horkheimer („Zur Kritik der instrumentellen Vernunft“)- :“Formalisierung der Vernunft“, die zur -reinen- Negation geschwunden ist.

Nichts könnte dem Tatbestand der versachlichten, zweckinstrumentell gewordenen Rationalität besser entsprechen als die -tautologische- Beschwörung des gesellschaftlichen (etc.) „Zusammenhaltes“, der durch ein bloßes Kräfteverhaltnis zustande kommt, aber nicht durch (sog.) transzendentale Ideen und Begriffe wie „Menschenwürde“(Gerechtigkeit, Gleichheit; ebd.) gerechtfertigt und fundiert ist.

„Alle diese hochgehaltenen Ideen“, bekräftigt Horkheimer,

„alle die Kräfte, die zur Gewalt und zum Interesse hinzukommend, die Gesellschaft zusammenhalten(sic), existieren noch, aber sie sind durch die Formalisierung der Vernunft unterhöhlt worden.“( M. Horkheimer. Zur Kritik der instrumentellen Vernunft.S. 44).

Dieser von Horkheimer in einer technisch-industriell fortgeschrittenen Gesellschaft diagnostizierte Prozeß wird -nicht nur- nach Ansicht Horkheimers von der „Überzeugung“(ebd.) begleitet, „daß unsere Ziele, worin sie immer bestehen, von Vorlieben und Abneigungen abhängen, die an sich sinnlos“(ebd.) erscheinen.

In J.-P. Sartres („Die Transzendenz“) Deutung steigert sich diese Überzeugung noch in eine Art - umgekehrte- Gegenüberzeugung, einen Affekt, der sein Ventil in einem dezidierten „Abneigungsverhalten“(Sartre, S. 296) besitzt.

Dabei wird eigentlich eine -Sartre- „Dringlichkeitsqualität“(ebd.), die nicht -als Potentialität- „realisiert werden kann“(ebd.) auf eine negative Qualität projiziert, die das negative Verhalten hervorruft. Das Bild, an das Sartre Beschreibung appelliert, ist ebenfalls -als Redewendung- einschlägig bekannt: die „Trauben“, die zu „hoch hängen“, werden als zu „sauer“ befunden.

Am anderen Extrem liegt die Sichtweise des Pragmatisten John Dewey („Natur und Erfahrung“), für den die „unmittelbare(n) Qualitäten“ als solche den „Ausgangspunkt“(ebd.) der wirklichen Erfahrung abgeben, die als -konkrete- „Gefühlsqualitäten“(ebd. S. 285), Dewey: „großen Einfluß auf unser Verhalten“(ebd.) ausüben und quasi mit kausalmechanischen Reaktionen wie, Dewey:

“Ablehnen und Gutheißen, Zurückweisen und Sich- Aneignen, Sich-Zurückziehen, Zurückschrecken und sich-Vorwagen, (mit) Hochstimmung und Depression, mit Angriff und Abwehr“(ebd. S. 285), also auf „höchst differenzierte“(ebd.) Weise beantwortet werden.

Überraschenderweise erweist sich Dewey jedoch als Interpret der (sog.) „bounded rationality“- Theorie, die ihn ein überaus kritisches Licht auf die -sprachlich und gewohnheitsmäßig- erworbenen „(akzeptierbaren) Bedeutungen“(ebd. S. 285) und die habitualisierten „(sinnlichen) Wahrnehmungen“(ebd. S. 286) schleudern läßt:

“Das Unterbewußtsein eines zivilisierten Erwachsenen“, lautet Deweys psychologische These, „spiegelt all die Gewohnheiten wieder, die er erworben hat; das heißt, alle ... Veränderungen, die er durchgemacht hat. Und insofern diese Veränderungen Fehlkoordinationen, Fixierungen und Trennungen mit sich führen, (wie es... bei allen, die unter komplexen `künstliche´ Bedingungen leben, innerhalb einer sehr kurzen Zeit der Fall sein wird), ist die sinnliche Wahrnehmung verworren, verdorben und verfälscht. Sie ist in eben den Aktivitäten am zuverlässigsten“, fährt Dewey fort,

„wo am wenigsten davon gesprochen wird, und am wenigsten verläßlich im Hinblick auf die Dinge, wo sie gewöhnlich gelobt wird. Das heißt, sie operiert am erfolgreichsten im Falle von Bedeutungen, die mit einer hochtechnisierten Sprache verbunden sind, mit Angelegenheiten, die von grundlegenden und drängenden Bedürfnissen weit entfernt sind, wie in der Mathematik oder in einem von konkreten Situationen weit entfernten Philosophieren...Sie ist mit größter Sicherheit falsch(!) im Zusammenhang mit... Fragen der Selbstregulierung im Bereich von Gesundheit, Moral und sozialen(!) Problemen.“(J. Dewey. Natur und Erfahrung. S. 286)

Wer sich unter solchen Voraussetzungen, Dewey:

“Gefühlen überläßt, die nicht Ausdruck einer Richtigkeit organischen Handelns sind – einer Richtigkeit, die unter zivilen... Bedingungen nur dadurch erworben wird, daß man vom Denken Besitz ergreift“, was für Dewey mehr bedeuten soll als „nur denken“(ebd.), handelt nach Deweys erklärter Auffassung, „wie ein Tier,... Ein solches Verhalten“, das nicht über ein animalisches hinausgeht oder – wie in J. Batailles „Prospektive“- darin terminiert, hat für Dewey:“den Charme(sic) einer faulen(sic) und bequemen Flucht aus der Verantwortung;“(Dewey, ebd. S. 287).

Es gälte, auf der Zwischenstellung des Individuums zu beharren, das es nach Ansicht Th.W. Adornos der -gegensätzlichen- Opposition -Differenz- zwischen einem formalisierten „Allgemeinbegriff“(Adorno, S. 154) und einem in die animalische „Bedürftigkeit“(ebd.) zurück gefallenen „Konkreten“(ebd.) enthebt.

Das Individuum in dieser -objektiven- „Widersprüchlichkeit“(ebd.) zu belassen, heißt, es weder dem „Versuch“(ebd.) einer, Adorno:“bloß gesetzt(en) `operationelle(n) Definition´“(ebd.) auszusetzen, in der die - „Idee“(der Freiheit; ebd.)- ausgeschlossen wäre, noch, es einer -Adorno- „Amok(!) laufenden Metaphysik“(ebd. S. 155) auszuliefern, die -prätentiös- oder " "aktivistisch“ danach trachtet, den „objektiven Widerspruch“(Adorno) aufzuheben.

Diese „Möglichkeit“ ist gemäß Adornos -kritischer- Theorie durch die soziale Realität selbst verwehrt:

„Ein Widerspruch etwa wie der zwischen der Bestimmung, die der Einzelne als seine eigene weiß, und der, welche die Gesellschaft ihm aufdrängt, wenn er sein Leben erwerben will, ist ohne Manipulation,..., welche die wesentlichen Differenzen verschwinden mach(t), unter keine Einheit zu bringen... Den objektiven Widerspruch“, in dem Adorno so das unauflösliche Pr0blem der modernen Gesellschaft bestimmt,

„kann es [das Individuum] nicht von sich aus durch begriffliche Veranstaltung eliminieren(sic). Wohl aber, ihn begreifen; alles andere ist eitle Beteuerung... Einst Vehikel totaler Identifikation, wird er [der Widerspruch] zum Organon ihrer Unmöglichkeit.“(Th.W.Adorno. Negative Dialektik. S: 156)

Den Widerspruch bestehen zu lassen, ohne die in Hegels Metaphysik und Logik verbürgte Option, ihn mittels „von oben konstruierter“(ebd.) Widersprüche zu beseitigen, zu de-konstruieren (etc.), ist per se eine -theoretische- Aufkündigung der -platonischen- Dialektik und ihrer -sprachlichen- Rhetorik.

Das Defizit einer platonischen Dialektik wäre darin zu sehen, daß sie im Gegensatz zur Kunst über keinerlei Erfahrung eines -materialen- „Widerstandes“(J.-F. Lyotard. Apathie) verfügte und diesen deshalb in der -Erfahrung- der Realität ignorierte oder als -zu eliminierenden- Fehler und Falschheit ausmerzte.

Die platonischen Dialoge werden deshalb, worauf J.-F. Lyotard in „Apathie in der Theorie“ abstellt, in einem quasi leeren Raum abgehalten, in dem jede - „Instanz“(ebd.S.105)- der „Öffentlichkeit“(ebd.) offenbar schon ein widerständiges Element bildet, das aus diesem Grund auf das „dialogische“ Meister-Schüler- Verhältnis und ihre exklusive „homologia“(ebd. S. 104) reduziert wird.

In „Apathie in der Theorie“ analysierte Lyotard den platonischen Diskurs unter dem Aspekt eines (nicht-empirischen, nicht-juristischen) Beweisverfahrens und Schlagabtauschs zwischen „Gegnern“(ebd.):

“(Platons) Sokrates will eine Diskussion ohne Öffentlichkeit, ohne Zeugen und ohne Richter: denn, so denkt er, sein Erfolg wird nur dann vollständig sein, wenn sie zwischen den beiden Gegnern homologia [Gleichgültigkeit] erzeugt, so daß sich die bei Gericht, in (Staats-)Versammlungen und sophistischen Debatten verwendeten Mittel, die auf Überzeugung und Sieg ausgerichtet sind, für diesen Überzeugungseffekt als ungeeignet erweisen.“( J.-F. Lyotard. Apathie in der Theorie. S.104)

In der platonischen Dialektik werden aber nicht nur die in gerichtlichen, politischen (etc.) Versammlungen aufgefahrenen Mittel und v.a. -sophistischen- Rhetoriken gegen probatere Überzeugungstechniken ausgewechselt.

Es werden auch „reale“ Gesprächspartner durch „fiktive“ ersetzt und die eigen- (wider)ständigen Dialogteilnehmer quasi „ausgeschaltet“, Lyotard:

“Der Athener aus den `Gesetzen´ wird von einem anderen Motiv bewegt“, erläutert Lyotard:“Ihm scheint der zu führende Beweis zu schwierig(!) und deshalb ersetzt er [der „Athener“] sie für einen Augenblick durch fiktive Partner, bedient sich aber des gleichen Strategems, durch Partner, die offensichtlich mit den Eigenschaften der Zivilisiertheit(!) und der nötigen Intelligenz(!) ausgestattet sind, um die homologia zu erzielen.“(ebd. S. 104)

Im Hinblick auf das platonische Denken überflüssig wäre, zu sagen, daß diese Form des „schlußfolgernden“, widerspruchsfreien Denkens auf einen (sog.) „sprachlogisch (gedeuteten) Universalienrealismus“(J. Habermas) hinaus läuft.

Aber auch der „operationale Begriff des Geistes“(ebd.), den der Pragmatist C.S. Peirce nach Bekunden J. Habermas´(„Erkenntnis und Interesse“) nach dem Vorbild der „Materie“(ebd.) konzipierte, verfährt in seinen „Schlußfolgerungen“(ebd. S. 176) streng „monologisch“(ebd.), während er seine -gemeinschaftlich konstituierte- „Synthesis“(ebd.) zugleich destruiert und in eine „Folge“(ebd.) von Aussage-“Ereignissen“(ebd.) auflöst.

Im Rahmen dieses -C.S. Peirce´s- Realismus kann das „individuelle“, (quasi) energetische Bewußtsein selbst dann nur als, Habermas:“Negation“(ebd. S. 177) dessen „sichtbar“(ebd.) werden, was, so Habermas: „als Realität öffentlich anerkannt wird.“(J. Habermas. Erkenntnis und Interesse.S. 177) E.B.