Elena Becker MA

Präzession der Rede oder: der (innere) Genius

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Nach einem ergebnislosen Gespräch zwischen Bundeskanzler O. Scholz und (Ex-)Finanzminister P. Lindner (FDP), in dem Lindner an der (sog.) „Schuldenbremse“ festhielt, wurde Lindner von Scholz aus dem Amt entlassen(!).

Als Reaktion auf die Entlassung Lindners, die Scholz mit einem „Vertrauens-Bruch“ rechtfertigte, reichten drei weitere FDP- Minister ihren Rücktritt ein.

Weil die „Ampel“-Koalition damit nur noch eine „Minderheits“-Regierung bildet, sollen baldmöglichst Neuwahlen stattfinden.

Aus den US- Wahlen ging der Republikaner D. Trump erneut als „designierter“ US-Präsident hervor.

Trump „übertraf“ mit 292 (sog.) „Wahlleuten“ die geforderte (absolute) Mehrheit, während seine demokratische Konkurrentin K. Harris 226 „Wahlleute“ für sich verbuchte.

K. Harris und US- Präsident Joe Biden akzeptierten das Ergebnis als „demokratische“ Entscheidung und appellierten dazu, die Machtübergabe reibungslos vonstatten gehen zu lassen.

An dem verglichen mit dem deutschen Modell -doppelt- „repräsentationalen“ US- Wahlverfahren, das J. Biden als „transparent“ und „demokratisch“ bezeichnete, äußerte Biden keinen -grundsätzlichen- Zweifel. Schon vor der offiziellen Verkündung des endgültigen Wahlergebnisses hatte sich allerdings der Wahlsieger D.Trump in einer Rede zum -nächsten- US- Präsidenten proklamiert.

Philosophisch („von außen“) ist damit nur schwer zu sagen, wer von beiden („Aussage“-)Subjekten -mehr oder weniger- („System“-)Vertrauen bezeugt.

Während die Haltung des „Demokraten“ implizit an das un-verbrüchliche „Sein“ des konstitutionellen (demokratischen) Systems „appelliert“(J. Derrida)1, könnte diese „Mitteilung“ -“de iure“- einen aufkommenden Zweifel übertönen.

Im gleichen wäre die Selbstproklamation des republikanischen Gegners -“saltatorisch“- als Manifestation eines „Sinns“(ebd. S. 87) zu interpretieren, der in der Sprache eine „Schutzvorrichtung“(Derrida)2 gegen einen etwaigen (Selbst-)Zweifel errichtet, die die eigentliche Präzession (Foucault) des „Seins“ vor der „Sprache“ im -Ereignis- eines (illokutionären) Sprechakts „exzediert“(ebd. S. 91).

Das heißt aber, in das (Differenz-)Verhältnis von „Sprache“ und „Sein“ eine neue Vorrichtung einzufügen, die das -binäre- Schema zugunsten der „Rede“ verändert, heißt also, anstelle des „Seins“ mit dem (Vor-) „Satz“ (ebd. S. 87) einsetzen.

Der -in sich- duplizite Sinn des (Vor-)Satzes wäre darin zu betrachten, den subjektiven Zweifel am Sein auszuräumen und zugleich an das -präzedente- Sein zu „appellieren“3, das dem Sprechen und der Rede eigentlich „vorausginge“(ebd.).

Das bedeutet in beiden Fällen, daß, wie Jacques Derrida in „Die Schrift und die Differenz“ zu Foucaults „Diskurstheorie“ anmerkt:“mehr oder weniger implizit an das Sein appelliert wird.“(J. Derrida, ebd.)

Aber genauso „implizit“ bewahrt sich darin die „skeptische“ Position, die die „assertorische“ Seinsbedeutung umhüllt, die -Derrida- in der Sprache „benennt“(ebd.), nicht benannt wird.

„(D)as kann nur bedeuten“, konkretisiert Derrida, „sich von Sein benennen zu lassen“.(ebd.)

Hingegen, Derrida:“Das Sein wäre nicht, was es ist, wenn das Sprechen ihm voraufginge oder es einfach benennte. Die letzte Schutzvorrichtung der Sprache ist der Sinn des Seins“(ebd.).

Solche -methodischen- Formen „hyperbolischer“(Derrida, S. 91) d.h. auf die „Spitze“(ebd.) getriebener (Selbst-)Reflexionen könnten -psychologisch oder kulturhistorisch- als Relikte eines -unbewußten oder “primitiven“- Verhaltens gedeutet werden, das sich darin äußerte, (böse) „Dämonen“ abzuwehren, zu bannen oder zu beschwören.

Ebenso ließe sich eine -philologische- „Hermeneutik“ beobachten, deren Methode sich darauf spezifizierte, einen -diskursiven, literarischen- Text mit einem „Autorennamen“(G. Agamben)4 zu versehen und sich so „anzueignen“.

Dabei geht der „Autor“ in seiner „Funktion“(ebd.) dem, „Werk“(ebd. S. 59) -nicht- „voraus“(ebd.), weil erst das „Werk“ den Autor als solchen konstituiert. „(A)ndererseits“, wendet Giorgio Agamben in „Das Profane“ dagegen ein,

„ist das Subjekt jedesmal (nur) präsent durch die objektiven Prozesse der Subjektivierung, die es konstituieren, und die Vorrichtungen (sic), die es in die Mechanismen der Macht(!) einfügen und dort gefangenhalten(sic).“(G. Agamben. Das Profane. S. 59)

Foucaults Anliegen zielte nach dessen -Foucaults- Worten darauf, die -das „konstituierende Subjekt“(ebd. S. 60)- konstituierenden „Prozesse“(ebd.), Foucault:“sichtbar“(ebd.) zu machen. Explizit nicht bedeutete dies, Foucault:

“... zugunsten einer reinen Objektivität von ihm [dem Subjekt] absehen; sondern diese Verweigerung(sic) hat den Zweck, die Prozesse sichtbar zu machen, die eine Erfahrung definieren, bei der Subjekt und Objekt sich eines durch das andere und eines in Funktion des anderen bilden und verwandeln.“(M. Foucault zit. n. Agamben. Ebd. S. 60)

Sich im „Register“(ebd.) und in der „Ordnung des Diskurses“(ebd.) als, G. Agamben:“Autor hinstellen(sic)“(ebd.), heißt im -metaphorischen Sinn- den „Platz des Toten(sic) einnehmen“(Agamben, ebd. S. 61), der einen „(leeren) Ort“(ebd.), eine funktionale (Leer-)Stelle hinterläßt.

Im Imaginarium der -mythologischen oder „mystischen“- Vorstellungswelt ist der Raum der Requisiten, die dem „Platz des Toten“ kontribuiert werden, gut gefüllt.

Hierher gehört das Sammelsurium von Geistern, Dämonen bis zur -Inspirationsquelle- des (sog.) „genius loci“(Agamben, S. 13) oder -namentlich- zur -rein mathematischen- Theoriefigur des (sog.) „Laplace´schen Dämons“, der alle -kausal determinierten- Verhältnisse und „Korrelationen“ im voraus berechnet und „lenkt“.

Dem lateinischen Nomen „Genius“ wird in G. Agambens Buch „Das Profane“ besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dieser u.a. im lateinischen Ausdruck „ingenium“(ebd. S. 8), also, Agamben:“der Bezeichnung für die Summe der körperlichen und geistigen Eigenschaften“(ebd.) obwaltende „innerste und persönliche Gott“(ebd. S. 9), wie Agamben den „Genius“ beschreibt, steht in einer direkten „(geheimen) Beziehung“(ebd. S. 8), „innigen“ Koalition oder (gegnerischen) Opposition mit dem Menschen, der ihn „erdulden“(lat. „indulgere Genio“, ebd.) muß oder ihn -endgültig- fort schicken.

Die, erklärt Agamben, in der antiken Vorstellung des Genius, (Zitat:)

“enthaltene Auffassung vom Menschen begreifen, heißt, verstehen, daß der Mensch nicht nur Ich und individuelles Bewußtsein ist, sondern daß er von der Geburt bis zum Tod eigentlich mit einem unpersönlichen und vorindividuellen Element zusammenlebt. Der Mensch ist somit ein einziges Wesen in zwei Phasen(sic), das aus der komplizierten Dialektik zwischen einem (noch) nicht ausgemachten und gelebten Teil und einem schon vom Geschick und der individuellen Erfahrung gezeichneten entsteht. Doch ist der unpersönliche und nicht ausgemachte Teil keine chronologische Vergangenheit, die wir ein für allemal hinter uns gelassen haben und die wir im Bedarfsfall mit dem Gedächtnis heraufbeschwören können; er ist immer noch anwesend, in uns und mit uns, im Guten und im Bösen und (nicht) von uns zu trennen.“(G. Agamben. Das Profane. S.9)

Die un-trennbare Liaison mit diesem Un-persönlichen ist durch das gekennzeichnet, was philosophisch im Terminus Negativität gemeint ist oder in A. Schopenhauers „Metaphysik“ mit dem -(über-)individuellen- „Lebenswillen“ fusioniert ist und sowohl das Prinzip der geistigen wie physiologischen Funktionalität stiftet.

Dazu erläutert G. Agamben:

“Der Genius ist nicht nur Geistigkeit, er betrifft nicht nur die Dinge, die wir als edel und erhaben zu betrachten pflegen. Alles Unpersönliche in uns ist genialis, vor allem die Kraft, die das Blut in unseren Adern antreibt oder uns in Schlaf sinken läßt, die unbekannte Macht, die so sanft die Wärme in unserem Körper reguliert und verteilt und die Fasern unserer Muskeln entspannt oder zusammenzieht. Es ist der Genius, den wir dunkel ahnen im Inneren unseres physiologischen Lebens, dort, wo das Ureigenste das Fremdeste und Unpersönlichste, das Nächste das Entfernteste und Unbeherrschbarste ist... Mit dem Genius im Innersten eines fremden Wesens leben, ständig eine Beziehung zu einer Region der Nicht-Kenntnis aufrechterhalten.“(G. Agamben, ebd. S. 10)

Diese innerste Beziehung, die den -physiologischen- Menschen durchzieht, überschreitet spontan das Profane und -Agamben- den „vertraute(n) Verkehr“(ebd.S. 9) mit dem alltäglichen Leben in einer gleichzeitig -Agamben- „mystischen“ und „esoterischen“ Praxis und Sphäre, Agamben:

“Der vertraute Verkehr mit einer Region der Nicht-Kenntnis ist eine tägliche mystische Praxis, in der das Ich in einer Art besonderer, freudiger Esoterik lächelnd seiner eigenen Auflösung beiwohnt und, sei es bei der Verdauung der Speisen oder der Erhellung des Geistes, ungläubiger Zeuge seines eigenen fortwährenden Schwundes ist. Genius“, so Agambens Fazit, „ist unser Leben, insofern es uns nicht gehört.“(ebd. S. 11)

Damit nicht genug, ist das Subjekt selbst nach Agambens Explikation, als ein -in sich gespaltenes- „Spannungsfeld“(ebd.) begreiflich zu machen, in dem, Agamben:

“zwei miteinander verbundene, aber entgegengesetzte Kräfte“(ebd.) interagieren, „die einen vom Individuellen zum Unpersönlichen und die andere vom Unpersönlichen zum Individuellen.“(ebd.)

In der Gemeinschaft mit dem Genius leben also, Agamben:

“zwei Kräfte ... zusammen, schneiden einander, trennen sich, aber sie können sich weder vollständig voneinander emanzipieren noch vollkommen emanzipieren.“(ebd.)

Es ist aber, gemäß Agambens Darstellung, nicht möglich, sich etwa des -literarischen- Genius, welcher zum „Schreiben drängt“(ebd.) umgekehrt zu bemächtigen und dieses „unpersönliche“(ebd.) Element zu zwingen, Agamben:“im Namen des Ichs zu unterschreiben.“(ebd.)

In I. Kants (sog.) „Konstitutionslehre“ und „transzendentalen Dialektik“(Th.W.Adorno)5 scheint dieses Verhältnis in das -institutionale Schema- von „Freiheit“ und „Unfreiheit“(Adorno, ebd.) transponiert, das nach Kants Auskunft erst durch eine „Reflexion höherer Stufe aufzulösen“(ebd.) wäre.

Ähnlich im Konstitutionsverhältnis, ist durch die -Funktion- der transzendentalen „Synthesis“(ebd. S. 239) die, Adorno:“Vergegenständlichung des [intelligiblen] Charakters nur im Bereich des Konstitutums lokalisierbar“(ebd.), nicht jedoch im Bereich des „Konstituens“(ebd.) oder Subjekts vorfindlich und anzutreffen, das sich dem Begreifen in die Region des „Intelligiblen“ und der „Transzendenz“ entzieht.

„Auch die Rede vom starken Ich als fester Identität“, fügt Adorno in „Negative Dialektik“ hinzu, „würde davon ereilt“.(Th.W.Adorno. Negative Dialektik. S. 239)

Dies bleibt auch für die -moralischen- Subjekte nicht ohne Konsequenz, die den „Bannkreis“(Adorno, S. 240) der v.a. gesellschaftlichen Konstitution nicht entrinnen können, die, obzwar gebunden an den -Adorno- „fortgeschrittenen Stand der Theorie“(ebd. S. 240) auch das -radikal- Böse zuläßt und einschließt.

„Das Einzelsubjekt, das moralisch sicher sich wähnt“, stellt Adorno dazu unmißverständlich fest,

„versagt und wird mitschuldig, weil es, eingespannt in die Ordnung, kaum etwas über die Bedingungen vermag, die ans sittliche Ingenium appellieren.“(Th.W.Adorno. Ebd. S. 241)

Dieses Dilemma ist jedoch nicht, nach Adorno, durch das Purgatorium eines, Adorno:“schlechten Gewissens der Rationalität (des Willens)“(ebd. S. 240) aufzulösen, dessen Resultat und -Adorno- Verlängerung des „prälogischen Naturmoments“(ebd.) sich vielmehr darin zeigt.

In „Archäologie des Wissens“ schränkte Michel Foucault das komplexe -das Subjekt- konstituierende oder determinierende Verhältnis und -gesellschaftliche- „Ordnung“ auf diejenige des (epistemischen) „Wissens“ und des „Diskurses“ ein.

Foucault weist dem (Aussage-)Subjekt darin eine sowohl „leere“ als auch „determinierte Funktion“6 zu, die -nach Foucault- permanenten, struktur-determinierten „Verschiebung(en)“(ebd.) wie im Bereich der „Literatur“(ebd.) oder allgemein: „diskursiven Ordnung“ und ihrer Genealogie unterworfen ist und dabei -in seinen Aussagen- teils determiniert, teils inhaltlich verändert wird.

Die auswechselbare „Position“(ebd. S. 137) eines im jeweiligen Kontext determinierten Subjekts ist aber grundsätzlich verschieden von der eines (sog.) „historischen“ Subjekts, auch wenn es -zeitlich- nicht ungebunden und voraussetzungslos ist. Die an ein bestimmtes -wissenschaftlich „konstituiertes“- „Axiom“ gebundene (episodische) Position eines Subjekts ist dann, Foucault:

“innerhalb eines durch eine endliche Menge von Aussagen begrenzten Gebietes fixiert; sie ist in einer Folge von Aussageereignissen(sic) lokalisiert, die sich bereits vollzogen haben müssen; sie wird in einer demonstrativen Zeit festgestellt, deren vorhergehende Augenblicke sich nie verlieren und die also nicht auf identische Weise wiederholt zu werden brauchen, um erneut gegenwärtig gemacht zu werden (...); sie wird durch die vorgängige Existenz einer bestimmten Zahl von wirksamen Operationen determiniert, die vielleicht nicht von ein und demselben Individuum vorgenommen werden (demjenigen, der gerade spricht), die aber selbstverständlich auch dem äußernden Subjekt zugehören, die zu seiner Verfügung stehen und die es bei Bedarf einsetzen (sic) kann.

Man wird das Subjekt durch die Gesamtheit dieser Erfordernisse und dieser Möglichkeiten definieren und man wird es nicht als Individuum beschreiben, das wirklich Operationen vorgenommen hätte, das in einer Zeit ohne Vergessen und Bruch lebte, das im Horizont seines Bewußtseins eine Gesamtheit von wahren(!) Propositionen verinnerlicht hätte und davon in der lebendigen Gegenwart seines Denkens das virtuelle Wiedererscheinen(sic) beibehielte.“(M. Foucault. Archäologie des Wissens. S. 137)

Eine -etwa Pierre Klossowskis- „mythologische“ Re-(Trans-)Inskription vermöchte, gemäß Foucaults(!) philologischer Lesart, darin womöglich die -Nietzscheanische- Dichotomie von „Historizität“ und „Leben“ sowie der -gegensätzlichen- Gestalten des -“wiederkehrenden“- Messias und des griechischen Gottes „Dionysos“7, des Gottes des „Vergessens“ und des „Exzesses“, heraus zu lesen.

Interessanter ist aber, daß Foucault in „Archäologie“ die „Ideengeschichte“8 einer „zweiwertigen“(ebd.) Logik unterordnet, die z.B. gemäß der Unterscheidung „neu“-“alt“(ebd.) verfährt, dabei jedoch keine einfache -chronologische- „Präzession“(ebd. S. 203) am -Punkt- einer, Foucault:“erste(n) und irreduziblen Gegebenheit“(ebd.) ansetzt.

Im -einen- Fall, Foucault:“rekonstruiert man das Auftauchen der Wahrheiten oder der Formen; im zweiten stellt man die vergessenen Solidaritäten (sic) wieder her.“(M. Foucault. Archäologie. S. 202)

Für diese -mehr oder weniger sequentielle- „Abfolge“(Foucault, ebd.) ist auch nicht der, John Dewey („Erfahrung und Natur“):“Grad dramatischer Qualität“ ausschlaggebend, die eine un-erwartete „Wendung“9 zu bewirken vermöchten.

Subjektiv ist damit auch teils eine -innere- „Umstrukturierung“(N. Luhmann. Legitimität)10 von -persönlichen- „Erwartungen (der Wahl)“(ebd. S. 120) verbunden und aufgenötigt, die „faktisch“ darauf ausgerichtet ist, die verfahrensmäßige „Legitimität“(ebd. S. 122) einer (Wahl-)Entscheidung der „Akzeptanz“(ebd.) prädezieren zu lassen. E.B.