Elena Becker MA

Die Goten- ein deutsches „Problem“

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>> Weniger die “Goten“ selbst als der neue Trend, sich mit den Goten oder allem, was damit im weitesten Sinnbezug assoziiert wird, geben ein Rätsel auf, das allerdings mehr Klarheit bekommt, wenn man es vom Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung betrachtet. Der “gothic“- Trend z.B. hat mit den Goten nur die Bezeichnung gemeinsam, die sich von einem Flußnamen im mittelschwedischen Raum ableiten dürfte oder von dem Verb „giessen“. Gelegentlich werden „die Goten“ daher auch mit dem Metanym „die Ausgiesser“ („Männer“) übersetzt.

Als frei schwebende Vokabel resp. flottierender Signifikant hat sich das Adjektiv auch in philosophische Texte eingeschlichen, wie etwa bei P. Sloterdijk „Im Weltinnenraum des Kapitals“, und dient wohl einer neoromantischen Anspielung, die seit ca. 20 Jahren Einzug gehalten hat. Der Trend, der zuerst im englischen Raum mit dem Namen “gothic“ v.a. alles sprachlich und sonstiges Dunkles, Horribles (fälschlich) assoziiert und dies in der bevorzugten Farbe “schwarz“ wiedergibt, entstand im keltisch- britischen (!) Kulturraum und spiegelt wohl eher die “romantische“ Stimmung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, das Natursehnsucht und Zivilisationsängste in “Schauerromanen“ wie beispielsweise Bram Stokers „Dracula“ etc. verarbeitete.

> Die “Goten“, auch “Greutungen“, Reussen, Preussen (!)-nicht zu verwechseln mit den “Skoten“ (=Schotten), sind bzw. waren nach bisheriger Auffassung skandinavischer Herkunft. Ursprünglich aus dem Bereich um das heutige Uppsala in Mittelschweden stammend, wo sich noch heute das Zentrum der sog. “Gotenforschung“ befindet, zogen nach bisherigem „Forschungsstand“ gotische Stämme in südlichere Regionen und ließen sich u.a. am “Schwarzen Meer“ nieder. Spuren der auf der „Kriminsel“ siedelnden (Krim-)Goten, deren Eigenheit darin bestand, daß sie in wohnlich ausgestatteten Höhlen lebten, sind noch bis in ca. 16. Jahrhundert nachweisbar.

Sie lebten z.T. lange Zeit, entweder in friedlicher Koexistenz oder als unterworfene Völker mit den Hunnen, von denen sie, besonders die “Ostgoten“, u.a. die eigenartige “Mode“ übernahmen, die Kopfform durch Bandagierung bei den Kindern zu verändern. Es kann sich dabei aber auch um einen medizinischen Eingriff, etwa um die sog. “Fontanelle‘ bei Säuglingen zu schließen, gehandelt haben. Möglich ist auch, daß es sich bei den Schädelfunden um die Überreste von hunnischen “Mitläufern“ handelte, die sich den Goten anschlossen, nachdem sich diese von den „Hunnen“ gelöst bzw. deren Stammesverband nach dem Tod von Hunnenkönig „Attila“ zerfiel.1

Rein spekulativ bleibt darüberhinaus, ob die ca. seit dm 3. Jahrhundert vor Christus an der Schwarzmeerküste siedelnden Ostgoten mit den südlich des Schwarzen Meeres lebenden Hethitern ("Chatti") bzw. den späteren Byzantinern schon vor der Gründung der politischen Metropole Byzanz in verwandtschaftlicher oder sonstiger Beziehung standen. Bislang gibt es dafür jedoch keine Belege oder Forschungsansätze.

Auch die „Goten“ teilten sich, seit ihrer Niederlassung rund um das „Schwarze Meer“, also etwa im Gebiet des heutigen Rumänien und Ukraine, in Ost- und Westgoten. Die Westgoten, die unmittelbar vor der hunnischen Invasion flohen, die aus den „vorderen“ Regionen Chinas, vermutlich der Mongolei, nach Europa vordrangen, erhielten ihren Namen aufgrund der Tatsache, daß ihnen von den Römern Siedlungsgebiete an der westlichen Donau in der Provinz „Pannonien“ zugewiesen wurden, die sie verließen, um sich v.a. unter König Theoderich in Frankreich und Spanien niederzulassen und dort Stadtstaaten zu gründen. Die Ostgoten unterschieden sich nach Jordanus noch in verschiedene Stämme, davon die “Skiren“, die mit den übrigen Ostgoten verfeindet waren.

Die - allmähliche?- Siedlungsbewegung v.a. der Skiren in Bayern, deren Name sich nicht etwa vom lateinischen Wort “scire“ (wissen, kennen) ableitet, fand v.a. im süddeutschen Raum entlang der Donau statt und läßt sich noch heute an vielen ähnlich klingenden Ortsnamen ablesen. Es ist wenig plausibel, daß diese nach dem Weiterzug der “Goten“ noch beibehalten wurden bzw. daß sie sich etymologisch -zufällig- anders ableiteten. Lexikalische Ähnlichkeiten belegen eher einen (umgekehrten) Spracheinfluß bzw. sind vergleichsweise so aussagekräftig (!) wie beispielsweise die Wortähnlichkeit zwischen „Ziege“ (bayerisch: „Geiß“) und „Ziege“, einer Fischart, die nur in der „brackigen“ Ostsee vorkommt.

Der Ostseeraum galt bis dato allerdings in der Forschung als Siedlungsgebiet der Ostgoten bzw. der (besagten) „Skiren“ (auch „Scheuern“, „Schyren“), die im heutigen Ostpreußen (Masuren) lebten. Bei Jordanus werden die Skiren lediglich einmal erwähnt, als „abtrünniges“ Volk der Ostgoten. Daneben ist einmal von den „Angisciri“ die Rede, evtl. den Angelsachsen, was bedeuten würde, daß die Skiren (u.a.) mit den Sachsen identisch oder verwandt sein könnten. Daß und in welchem Grad eine solche Vermutung einer „deutsche-Einheit-“- Konstruktion „zu paß“ käme, um die sich gerade die neuere „Gotenforschung“ (u.a. auf „Wikipedia“) bemüht zeigt, braucht nicht betont zu werden.

Die (West-)Goten bzw. Skiren erhielten von den Römern (wohl spätestens unter dem oströmischen Kaiser Markian) Siedlungsgebiete (sog. Latifundien) im Gegenzug für ihren militärischen Einsatz in römischem Dienst. Ihre Hauptaufgabe jedoch war, im Westen des römischen Reiches sowie südlich des Limes die übrigen dort einfallenden bzw. siedelnden Stämme - Alemannen und Kelten- zu kontrollieren. Über das Verhältnis zwischen ihnen und dieser angestammten Bevölkerung läßt sich daher nur spekulieren, darüber, ob die Stämme, die lokal aufeinander prallten, also Westgoten mit Galliern und Hispaniern sowie, in den gotisch- skirischen Ortsgründungen mit einer i.d.R. keltischen Bevölkerung „konglomerierten“ oder ebenfalls im Konflikt mit ihnen lebten.

Wie auch immer, zuvor jedoch gerieten die Ostgoten (Skiren) in eine gewaltsame Auseinandersetzung mit den Römern, nachdem sich die Skiren unter ihrem König „Odoakar“, einem ehemaligen römischen Legionär(?), um zugesicherte Siedlungsgebiete geprellt sahen bzw. sich eine Gelegenheit ergab, in Rom „einzufallen“. Unter Odoakar geriet Rom kurzfristig unter die Herrschaft der „Skiren“, die schließlich nach Angaben des Historikers Jordanus von den Ostgoten beendet wurde. Dabei seien Odoakar und seine Familie in der Regenz Ravenna zu Tode gekommen. Schließlich wurden die Ostgoten unter dem von Ostrom eingesetzten Herrscher Theoderich z.T. in Italien angesiedelt und erhielten auch dort Aufgaben im römischen Heer.

Aus den nördlich der Alpen verbliebenen bzw. zurück gekehrten “Skiren“, ging nach dem mittelalterlichen Chronisten Aventin das bayerische Herzogtum der "Agilolfinger" (vermutlich identisch mit: Huosi, Fagana, Hazzi u.ä., wie Hessen, Chatti ) hervor. Das kann nach wie vor (nach Lautverschiebung G/C/H/Ph/F/B/SCH sowie Wegfall des "P", "R", "H") am wahrscheinlichsten angenommen werden, wofür es nicht zuletzt einzelne „optische“ und namentliche Änhaltspunkte (lautähnliche Personen- und Ortsnamen) gibt. Der Einfluß auf die deutsche Sprache ist nicht genau zu identifizieren, da man von bestehenden Sprachähnlichkeiten ausgehen muß.

Z.B. ist das Wort “Stuhl“ in der “gotischen“ Sprache nachweisbar. So entstand im heutigen Bayern eine aus skotisch-keltischen “Bojern“ und den ostgotischen Stämmen, die sich unter dem Namen „Bayern“ niederließen, der sich vermutlich sowohl aus (keltisch-skotisch) “Bojer“ als auch einem etymologisch nicht näher bestimmbaren Wort “bay“ (pl. bayar, die Dörfer) resp. dem „gotischen“ Stammesnamen („Bayern“, Beuern, u.ä.) zusammensetzt, eine Bevölkerung, die vergleichsweise so “heterogen“ d.h. verschieden stämmig ist wie etwa die Bevölkerung Großbritanniens, wo die dortigen Identitätskonflikte jedoch in religiösen Auseinandersetzungen zwischen „Protestanten“ und „Katholiken“ ausgetragen wurden und man an den Sprach- und Traditionsunterschieden festhielt.

Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zur deutschen “ldentitätsbildung“, die die Verschiedenheiten ausblendete oder nur (kontrovers) in lokalen “Chroniken“ aufarbeitete, die in der allgemeinen Geschichtsforschung kaum berücksichtigt wurden.

Gerade die modernere “Gotenforschung“, die sich auf die Ausgrabungen von “Goten“ Siedlungen an der östlichen Elbe konzentrieren, gehen nicht mehr von einer Herkunft aus Skandinavien aus, da sich dort keine Hinweise finden ließen, die eine solche Herkunft einwandfrei untermauerten (s. unter Wikipedia). Allerdings ist das Fehlen solcher Hinweise wiederum kein Gegenbeweis gegen die von Jordanus überlieferte, wahrscheinlich stark ausgeschmückte Darstellung, die ansonsten von einer äußerst “blühenden“ Phantasie zeugte. Eine endgültige Widerlegung dieser Darstellung würde einwandfreierer Beweise erfordern, etwa mittels genetischer ldentifikationen.

Stattdessen läßt sich aus diesen “tendenziös“ wirkenden Annahmen ein anderer Schluß ziehen: daß es vielmehr ein Anliegen ist, die ost-westdeutsche Identität seit der Wiedervereinigung zu fundamentieren, die fast hysterische Züge angenommen hat. Dieses Bestreben ist darüberhinaus mit lokalen „Reterritorialisierungen“ verbunden, um damit mit G. Deleuze und N. Luhmann einer „soziologischen“ Interpretation den Weg zu bahnen, sowie insbesondere mit lokalen „Codierungen“ (Luhmann), die ebenfalls dem reaktionären Zweck einer „lokalen“, jedoch exklusiven „Identität“ dienen.

Der definitive Ausschluß von “Fremdeinflüssen“, welcher Art diese auch seien, erlaubt so, von einer “homogeneren“ Fusion auszugehen, die Unterschiede als Störfaktoren ausschließen oder ignorieren. Dadurch wird das ‘Wir‘- Gefühl gestärkt, das seit der “Wende“ auf die neuen Verhältnisse “eingestellt“ werden muß. Dies geschieht zwar nicht per Verordnung von oben, jedoch durch ein “Klima“, das auf Abweichungen mit Nivellierung, Relativierung oder durch restriktive Sublimierung reagiert. Die Folgen dieser Entwicklung sind nur schwer einzuschätzen, da sie zu diffus auftreten. Jedoch haben (solche) “Stimmungslagen“ in Deutschland zumindest in der Vergangenheit nicht gerade “Gutes“ bewirkt. E.B.