Jeder hat schon einmal den Kommentar gehört: „es gibt andere“. Ich höre ihn -zu meinem Leidwesen- oft. Wer dies sagen hört, soll sich nicht unbedingt geschmeichelt fühlen- nein, es soll ihn auf die Tatsache der unzählig wiederholbaren Existenz zurückwerfen.

Wen ich diesen Satz höre, antworte ich meistens: „das weiß ich schon lange!“

Das ist noch völlig untertrieben, denn tatsächlich weiß ich es, seitdem ich etwas weiß.

An den ersten „Gedanken“ dieser Art erinnere ich mich aus einer Zeit, zu der ich, was vermutlich keiner glaubt, noch gar nicht in dem Sinn „dachte“.

Zu diesem Zeitpunkt nämlich, kurz nach meiner bzw. unserer Geburt konnte ich noch gar nicht „sprechen“. Alles, woran ich mich erinnere, war, daß ich unter einem „Weihnachsstern“ lag, der rotblättrigen Pflanze, und nur das gewisse Gefühl hatte, daß meine Schwester auch „da“ war. Es war eine Empfindung ähnlich wie: ach gut, du bist auch da. Keineswegs war es so, als würde mich das überrascht haben. Eher so, als wäre man am Ziel angekommen und sich nach „dem anderen“ (der anderen) umsehen. Ach gut, wir haben es beide geschafft!

Natürlich würde man jetzt einwenden, das sei eine nachträgliche „Reflexion“.

Ich verwende diesen „Begriff“ auch ganz „bewußt“, denn ich habe ja Philosophie studiert. Aber müssen Reflexionen unbedingt „sprachlich“ sein? Es gibt auch andere -philosophische- Vokabeln, nennen wir nur die „Intuition“. Ich bestehe in diesem ureigenen Fall jedoch darauf, daß es sich um eine „Reflexion“ handelte, nicht nur, aber auch, weil es das Spiegelbildliche zum Ausdruck bringt.

In meinen Erwachsenenjahren habe ich mich also viel mit „Reflexionen“, mit „Doppelgängertum“ - v.a in meinen Romanen- , mit -physikalischer- „Dualität“ herumgeschlagen, weil mich dieses Thema aus naheliegenden Gründen anspach. Natürlich liegen viele dieser Fragen und Themen auf ganz verschiedenen Ebenen, aber das macht es ja gerade so interessant.

Umso weniger erfreut bin ich aber über „Rüffel“ wie „es gibt andere“ oder über Verwechslungen, die nichts mit meinem Zwillingsdasein zu tun haben, aber „überdies“ und obendrauf noch vorkommen, bis zum Abwinken. Es gibt, wie ich im Internet recherchiert habe, Namensdoppelgängerinnen von mir, was mich überrascht, da ich immer glaubte, zumindest mein Name könne ja einigermaßen Seltenheit besitzen. Dem ist nicht so.

Ganz zu schweigen von „Verwechslungen“, mit denen ich normalerweise nicht gerechnet hätte, weil ein logisch denkender Mensch nicht darauf verfällt, Menschen miteinander zu verwechseln, die verschieden heißen und verschieden aussehen. Doch ich mußte mich in dieser Hinsicht eines schlechteren belehren lassen, mit der Folge, daß mein „Ruf“ total ramponiert ist.

Als -eineiiger- Zwilling steht man von Anfang an im Licht des „Exoten“. Man ist immer die „Attraktion“ oder zumindest etwas, was Jahrgangsabsolventen mit diesem Jahrgang noch assoziativ „verbinden“. Von der Reflexion gelangt man als Zwilling also unweigerlich zur Assoziation, aber vom Blicwinkel der anderen aus, die immer auch nach den anderen fragen.

Ob Zwillinge altruistischer sind als andere Menschen würde ich mit ja und nein beantworten. Meine Schwester und ich lagen v.a. als Kleinkinder des öfteren im Clinch miteinander, wenn es um irgendetwas ging, woran ich mich nicht mehr erinnere. Aber man hatte ein schlechtes Gewissen, wenn man etwas bekam, der andere aber nicht oder etwas andere oder empfand Neid, wenn es umgekehrt war.

Unsere Eltern waren in diesem Punkt auch keine fanatischen Gleichheitsapostel. Schon unsere Vornamen waren ja sehr unterschiedlich. Meinen Namen hatte meine Mutter ausgewählt, meine Schwester bekam ihren Namen von unserem Vater. So unterschiedlich sich unsere Vornamen anhören, stehen sie doch in einem philosophischen, man könnte sagen: hermeneutischen Bezug zueinander. Mein Name leitet sich ab von gr. Helios, Sonne, das bedeutet also das Helle, aufgehende, während meine Schwester übersetzt die „Verborgene“ heißen würde. Also „frei“ nach Heidegger, könnte man sagen. Jedoch sind meine Eltern keine Philosophen, sie waren seinerzeit auch keine Hippies oder was man ansonsten vermuten könnte.

So weit ich mich erinnern kann, waren wir nur sehr selten gleich angezogen. Das verringerte das Risiko des ständigen Verwechseltwerdens aber nur geringfügig. Ich weiß nicht, ob wir uns deshalb auch geradezu anstrengten, uns möglichst unähnlich zu sein, meine Schwester mehr als ich. Ich habe mir das oft damit erklärt, daß es „von Haus aus“ diametrale oder -philosophisch ausgedrückt- „dialektische“ Persönlichkeiten gibt, was bei Zwillingen zur Folge hat, daß sie sich betont voneinander abgrenzen, aber dennoch v.a. in zufälligen und spontanen Dingen und Situationen sich wieder vollkommen identisch verhalten. Es gibt also eindeutig so etwas wie Zwillingsgesten und -reaktionen, ganz im Gegensatz aber zu einer sogenannten Zwillingssprache, deren Existenz sogar P. Sloterdijk in seiner Trilogie „Sphären“ vorbehaltlos behauptet.

Sloterdijk ist einem Psychologenmythos aufgesessen. Das hätte ich ihm aus erster Hand versichern können, wenn er sich je mit mir in Verbindung gesetzt hätte. Es besteht wohl ein Bedürfnis oder ein Interesse an solchen Mythen und Gerüchten, daß man ihnen wider besseres Wissen nicht auf den Grund geht.

Von meiner Schwester, die damals ca. zwölf war, sagte unser damaliger Deutschlehrer einmal, anläßlich eines Aufsatzes, sie besäße einen Schreibstil wie Immanuel Kant, weil sie so viele Schachtelsätze baue. Dagegen kann ich mich an einen Aufsatz erinnern, in dem ich einmal eine „kriminalpsychologische“ oder besser: technische Methode „vorwegnahm“. Es handelte sich um die „Speichelprobe“, aber seither tendierte ich immer zu psychologisch angelegten Kriminalplots. Das heißt nicht, daß ich nach solchen Dingen und Hinweisen darauf in meiner Umgebung „suche“, die man in der Regel ignoriert.

Warum wurde ich also Philosophin und nicht meine Schwester? Und warum wurde sie Psychologin und nicht ich? Das sind Fragen, die sich nur mit unserer „divergent-konvergenten“ Entwicklungsrichtung beantworten lassen. Im Taoismus spricht man von Ying und Yang. Weshalb habe ich mich nicht mit Taoismus befaßt?

Weil, dialektisch ausgedrückt, das, was nicht ist, zwar unmittelbar nicht ist, aber durchaus noch „werden“ kann. E.B.