Elena Becker MA

Die Frage der Würde oder: der (wahre) Satz

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In der (sog.) „K“-(Kanzler-)Frage fiel die (Vor-) Entscheidung der „SPD“ auf den regierenden Bundeskanzler O. Scholz als Kandidat im kommenden Wahlkampf (2025).

Der ebenfalls für die Kanzlerkandidatur vorgeschlagene Verteidigungsminister B. Pistorius sagte zuvor ab. Pistorius begründete seine Entscheidung damit, Scholz habe seine Kompetenz als Kanzler in Krisenzeiten bewiesen.

Damit wird Scholz voraussichtlich Anfang 2025 gegen den von der „CDU“ aufgestellten Gegenkandidaten, CDU- Chef F. Merz antreten.

Auch ein von den designierten (künftigen) US- Präsidenten D. Trump für das Amt des Justizministers nominierter, u.a. parteiintern umstrittener Kandidat (Gaetz) schlug das Amt aus.

Nach voran gegangenen Spekulationen darüber, ob der Krieg zwischen Ukraine und Rußland „eingefroren“ werden könne, droht dieser nach dem Abschuß einer „Hyperschall“-Rakete auf die Ukraine in eine neue Phase zu treten.

Umgangssprachlich ist der nominale Ausdruck „Würde“, den die I. Kants Transzendentalphilosophie zu einer -kategorischen- Forderung verabsolutierte, außer in formaljuristischen Texten in erster Linie in moralisch-ethischen Bezügen im Gebrauch.

Daß sich ein potentieller Amtsträger aber als un-würdig erweisen kann, zeigt die Kehrseite einer genuin der Politik(!) entstammenden Vorstellung und Formel der „Würde“, die, wie M. Horkheimer in „Zur Kritik der instrumentellen Vernunft“ dargelegt hatte, ein „Attribut“1 der monarchischen Regierungsform -und ihres Repräsentanten- darstellte.

Wie Max Horkheimer dokumentiert, ist demnach der u.a. im („Universal“-)Begriff „Menschenwürde“(ebd.) hypostasierte Terminus ein Relikt der „Feudal“-Herrschaft, das nach Horkheimers Deutung diese Signifikanz nie ganz verlor.

Hierzu erklärt Horkheimer:

“Zu allen Zeiten hat das Gute die Spuren der Unterdrückung gezeigt, der es entsprang . So ist die Idee der Menschenwürde aus der Erfahrung der barbarischen Herrschaftsform erwachsen. Während der erbarmungslosesten Phasen des Feudalismus war Würde ein Attribut der Macht. Kaiser und Könige tragen einen Heiligenschein. Sie verlangten und empfingen Verehrung... Jeder, der Majestätsbeleidigung beging, [wurde] zum Tode verurteilt. Von seinem blutigen(sic) Ursprung befreit, ist der Begriff der Würde des Individuums heute eine der Ideen, die eine Organisation der Gesellschaft kennzeichnen.“(M. Horkheimer. Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. S. 166)

Neben -äußerlichen- Insignien, die dazu dienten, Macht zu demonstrieren, gehört also der idealistische Begriff der Würde von vorne herein der „Ordnung“ und dem -Foucault:- „Raum“ der politischen „Repräsentation“(G. Deleuze)2 an, worin Michel Foucault schließlich das -epistemische- (Deleuze:) „Wissen im klassischen Zeitalter, zwischen Renaissance und unserer Modernität“(ebd.) beschrieb.

Erst eine davon ausgehende, mehrstufige Geschichte der -semantischen- Explikation und „Inrerpretation“(ebd.) von machtspezifischen Symbolen und „Zeichen“(ebd.), in denen das un-sichtbare Semantem der Würde „sichtbar“(N. Luhmann. Die Politik)3 gemacht werden sollte, „befreite“ den abstrakt gewordenen, von seinem „fixen“ Kontext demontierten Begriff, um anscheinend eine un-verbrüchliche Beziehung mit den (Ko-)Terminus, des -modernen- „Individuums“(Horkheimer, ebd.) einzugehen.

Auch der für das post- industrielle Zeitalter und die damit eintretende -Phase- des „Individualismus“ basale Kernbegriff des Individuums ist aus Horkheimers -kritischer- Sicht nicht statutarisch, also unveränderlich.

Diese -und andere- Notationen haben, wie Horkheimer dazu kommentiert:

“(I)mmer wieder in der Geschichte... ihre Hüllen abgestreift und sich gegen die sozialen Systeme gekehrt, die sie hervorbrachten.“(Horkheimer. Ebd. S. 166)

Allerdings wird diese Tendenz zur (Selbst-)Enthüllung von (sog.) gegenaufklärerischen (Negations-)Begriffen gewissermaßen kompensiert und in einer -paraphrasierenden- Umkehrbewegung aufgehalten, die Jean Baudrillard („Agonie des Realen“) pauschal als „Interpretationsschwindel“4 denunzierte.

Weniger überspitzt und -vergleichsweise- moderater lesen sich hier die „Analysen“ der politischen „Soziologie“(N. Luhmanns), wenn sie anstelle einer „historischen“ Deduktion dazu übergehen, den „autopoietischen“(Luhmann)5, das „Medium Macht“(ebd.S.91) positiv-negativ „codierenden“ Begriff der „Amtsmacht“(ebd. S. 92) und -ausübung auf die -Differenz- von „Amt und Person“(ebd. S. 90) zu transponieren.

Die -Luhmanns- Begriffsklärung begnügt sich dann mit dem historischen Hinweis:

“Die Erfindung des Amtes reicht weit in die Antike zurück. Sie ist schon daran zu erkennen, daß es besondere Amtsbezeichnungen gibt und daß Nachfolgeprobleme(!) auftreten. Dennoch bleibt die Unterscheidung von Amt und Person unklar. Das Edikt muß (...) von jedem Prätor neu verkündet werden. Noch im Mittelalter ist die Bindungswirkung von Erklärung und Verträgen im Nachfolgefall unklar... Erst das Mittelalter beginnt, vor allem mit Hilfe des kanonischen Rechts, eine Klärung der juristischen Struktur des Amtsbegriffs... Die moderne Welt setzt diese Trennung [von Amt und Person] ... voraus und registriert alle Konfusionen als Unlauterkeit, wenn nicht als Korruption.“(N. Luhmann. Die Politik der Gesellschaft. S. 92)

Der -mittelalterliche- Begriff der (Amts-)Würde, der allenfalls als -negativer- Indikator personaler „Unlauterkeit“(ebd.) zum Zug gelangen konnte, kommt augenscheinlich weder in dieser -formaljuristischen- Explikation vor noch zählt sie zu den -Luhmann- „Prämissen“(ebd. S. 93) der Stellenidentität(Luhmann), die auf die Übernahme einer vorgängigen Entscheidungs-Funktion und deren „Kommunikationen“(ebd.) eingeschränkt wird.

Die, Niklas Luhmann:“(plurivariable) Stelle“(ebd.S.93), wie die neue Bezeichnung für das „Amt“ lautet und ihre formalen wie „inhaltlichen“(ebd.) Fixierungen (ebd.) im -“Verhältnis“(ebd.)- zu anderen „Stellen“ symbolisieren (umgekehrt) die -Luhmann:- „Austauschelastizität (der Systeme)“(ebd.).

Zitat Luhmann:

“Mehr als jede andere Form symbolisiert die plurivariable Stelle auf der organisatorischen Ebene die Austauschelastizität der Funktionssysteme, und im besonderen: des politischen Systems-... Zugleich übernimmt das Indintitätsprinzip(!) der Stelle aber jede Funktion, nach der wir fragen: die Fixierung des Machtcodes als Macht der Stellen im Verhältnis zu allen (inklusive anderen Stellen; Luhmann), die Kommunikationen der Stellen entgegenzunehmen und inhaltlich als Prämissen eigener Entscheidungen zu übernehmen haben.“(Luhmann. Die Politik S. 93)

Die unter diesen die -funktionale- Stellenidentität spezifizierenden Voraussetzungen durch eine „Person“ zu besetzende „Stelle“ unterliegt der Anforderung, sowohl -Luhmann- „situationsspezifisch, identifizierbar“(ebd.) als auch „änderbar“(ebd.) zu sein.

Sie ist damit zwar variabel, also -im situationsspezifischen Bezugssystem- (relativ) beweglich als auch zu orten, Luhmann:“Sie ist erkennbar, kontaktierbar, bestimmbar“(ebd.).

Gilt es bei Gelegenheit, Luhmann:“nach der höchsten Stelle im System zu fragen“(ebd.), also, präzisiert Luhmann:“nach der Stelle, die allen anderen übergeordnet ist“(ebd.), gibt Luhmann eine -paraphrasierende- Hyperbel zur Antwort:“Kompetenzkompetenz“(ebd.).

Die -Funktion- der „Stelle“ wird in der reinen (Aussagen-)Logik Bertrand Russells vergleichsweise durch das Schema des „Satzes“ und der gegenstandsbezogenen „Beschreibung“ erfüllt, die im Fall des -früheren- deutschen Kanzlers „Bismarck“(B. Russell)6 nach Worten B. Russells:“auf eine(r) mehr oder minder vag(en) Ansammlung historischen Wissens“(ebd.) über die -Person- Bismarcks und „Deutschlands“(ebd.) referiert.

In „Probleme der Philosophie“ schreibt Russell eingehender:

“Wenn wir, die ihn nicht(!) gekannt haben, an Bismarck denken, wird die Beschreibung, die wir im Kopf haben, vermutlich aus einer mehr oder weniger vagen Ansammlung historischen Wissens bestehen – normalerweise doch wohl mehr Wissen als nötig wäre, um ihn zu identifizieren. Nehmen wir... an, daß wir an ihn als den ersten Kanzler des deutschen Reiches denken. In dieser Beschreibung sind alle Wörter abstrakt(sic), ausgenommen `deutsch´. Das Wort `deutsch´ wiederum wird für verschiedene Leute verschiedene Bedeutungen haben: einige wird es an ihre Reisen in Deutschland erinnern, andere an das Aussehen Deutschlands auf einer Landkarte,...“(B. Russell. Probleme der Philosophie.S. 50)

Auf der Basis der -Russells- Feststellung, daß der Personenname Bismarck wie das Wort „deutsch“ durch verschiedene Bedeutungen ergänzt und ersetzt werden kann, glaubt Russell, daß diese -vielseitig auswechselbaren- Paraphrasen dennoch auf einen einzigen -wahren- Satz reduziert werden können.

„Wir können uns“, erläutert Russell,

„miteinander verständigen, weil wir [hypothetisch] wissen, daß es einen wahren Satz über den wirklichen Bismarck gibt, und daß dieser von uns beschriebene Satz unverändert bleibt, ganz gleich, wie wir unsere Beschreibungen variieren- wenn(!) sie nur immer zutreffend sind.“(B. Russell, ebd.)

Man hat es also, unter einer verständigungs-orientierten Prämisse der erfahrungs(-un-)abhängigen Voraussetzung eines „wahren Satzes“ mit einem (epistemischen) „Repräsentationalismus“ zu tun, mit dem der antimetaphysische „Positivismus“ eigentlich Schluß machen wollte.

Dies wird noch deutlicher, wenn Russell sich dazu bekennt, die -Grenzen- der Erfahrung zu „überschreiten“(ebd.S.53), m.a.W. zu transzendieren.

„Die Erkenntnis durch Beschreibung“, so Russell explizit, „ist deshalb so wichtig, weil sie uns in die Lage versetzt, die Grenzen unserer persönlichen Erfahrung zu überschreiten.“(Russell, ebd.)

Russell hat es aber keineswegs auf einen, etwa Kants „abgehobenen“ Transzendentalismus zugrunde gelegte (Cartesianische) Gewißheit (des „Ego“) abgesehen.

Vielmehr bleibt Russell auf der -semantischen- Ebene für „wahr“ geglaubter („All“-)Sätze wie beispielsweise „alle Menschen sind sterblich“, die Russell weder aus der -subjektiven, kollektiven o.ä.- Erfahrung noch aus einer „Verknüpfung“(ebd. S. 94) zwischen den -Russell- „Universalien“(ebd.) -“Mensch“ und(!) „sterblich“- ableiten will, sondern aus den (epistemischen) Erkenntnissen der „Physiologie“(ebd.) und -allgemein- eines wissenschaftlichen „Fortschritts“(ebd.).

Russells Credo lautet:

“Der Fortschritt der Wissenschaft bringt dauernd solche Subsumptionen [Unterordnungen] hervor und erzeugt damit eine sich ständig erweiternde(sic) Induktionsbasis für (wissenschaftliche) Verallgemeinerungen. Dabei“, schränkt Russell ein, „entsteht jedoch nur ein größerer Grad und nicht eine neue Art von Gewißheit.“(ebd. S. 95)

Insgeheim versucht Russell aber wohl, wie I. Kant den „Empirismus“ durch eine Verankerung in der -objektiven- Wissenschaft und darüber hinaus in den -einzelnen- Wissenschaften gegen den -platonischen- Vorwurf zu schützen, der es dem „nichtphilosophischen“(J. Derrida)7 Empirismus abspricht, mit Jacques Derrida:

“sich selbst zu legitimieren und sich als Rede selbst zu helfen.“(J. Derrida. Die Schrift und die Differenz.S. 232)

Da es aber nach Auffassung Emmanuel Levinas´ ebenso unmöglich ist, den „Diskurs anzuhalten“(Derrida, S. 233), also in einen statutarischen oder „ewigen“ Diskurs zu versetzen, sieht Levinas im Gegenzug nur die Option einer -Husserls(!)- „Genesis“(ebd. S. 257), also des Rekurses auf, Levinas:“das Medium allen Begreifens und allen Verstehens“(ebd.), worunter Levinas nichts anderes als den Rückgriff auf die -griechische- „Zivilisation“(ebd.) begreift, um den „kohärenten Diskurs (der Vernunft)“(ebd.) und das -“Leben“(ebd.)- in einem „vernünftigen Staat“(ebd.) wiederherzustellen.

Unversehens steht E. Levinas mit dieser Aussage wieder auf dem -Boden- der „griechischen Traditionalität“(ebd. S. 124) und der -intern rivalisierenden- „Ontologie“(Seinslehre), die u.a. in einen (Hilberts) „Formalismus“8 divergiert und in einer, Derrida: „Krümmung des Raumes“(ebd. S. 233) re-flektiert ist.

Namentlich hatte Edmund Husserl in die „Reduktion“ auf das griechische Denken (gr. logos) und „Gewißheit“(ebd. S. 128) nicht nur die Erwartung gesetzt, durch das „Krisenbewußtsein“(ebd.) auf das -griechische- Ziel der „Philosophie als Wissenschaft“(ebd.) hindurch zu lotsen, sondern darin auch die „alleinmögliche Richtung (für jedes philosophische Entspringen)“(ebd. S. 125) propagiert, in dem die „Totalität des Logos“(ebd.) und der -J. Derrida- „historisch-philosophischen Situation“(ebd.) auf Weltebene(ebd.) „vorherbestimmt“(ebd.) sei.

Der Strukturalismus M. Foucaults und G. Deleuzes („Der Faden ist gerissen“) umgeht das Problem der -in Hegels fortschreitendem Geschichtsprozeß auf die „Kategorie“(Hegel/E. Bloch)9 oder das „wahrhaft Wesentliche“(ebd.) vergierenden -determinierten- „Richtung“(ebd.), durch die Konstruktion von „Serien“, worin G. Deleuze ein anderes Projekt -Michel Foucaults- realisiert findet: eines „romantischen(sic) Positivismus“(G. Deleuze. Der Faden ist gerissen. S.73)

Den Antrieb dieses -Foucaults- Positivismus benennt Gilles Deleuze darin, allen -Hegelschen, Husserlschen, Heideggerschen etc.- „Mystifikationen der Geschichte, die im Namen des Bewußtseins und des Werdens der Vernunft einhergehen“(ebd.) eine Absage zu erteilen.

In der „Archäologie des Wissens“ habe sich Foucault, nach Auskunft G. Deleuzes, den -archivarisch- angewandten Techniken der „Interpretation“(Deleuze, S. 74) und der „Formalisierung“(ebd.) widersetzt.

Indem Foucault nicht die „Wissenschaft“, sondern die „Vielheiten“(ebd. S.78) -der Aussagenformationen- zum Ansatzpunkt bestimmt, versteht man nun auch, Deleuze:

“wieso bestimmte Vielheiten oder Formationen das Wissen, das in ihnen wirkt, nicht auf epistemologische Schwellen hin orientierten. Sie orientieren oder strukturieren es in ganz andere Richtungen mit anderen Schwellen.“(G. Deleuze. Ebd. S. 79).

Entgegen einer -Theorie- der einheitlichen „Struktur“(Foucault)10 oder „Ideengeschichte“(ebd.), die die „Wiedersprüche“(ebd.) in einem -übergeordneten- Term synthetisiert und vereint, „definiert“(ebd.) man nach Foucaults Erklärung in „Archäologie des Wissens“, den „Ort“(ebd.), an dem sich der Widerspruch zwischen entgegengesetzten Theorien wie die „Divergenz“(ebd.) zwischen einem (sog.) „Fixismus“(Linnés; ebd.) und einer -Buffons- „evolutionstheoretischer“(ebd. S. 217)- Theorie, die die vor-darwinistische „Naturgeschichte“(ebd.) des 18. Jahrhunderts in zwei Richtungen, Foucault:“spaltete“(ebd.), lokalisiert und austrägt, während sie -Foucault- „ihren gemeinsamen Platz in einer gewissen Beschreibung(!) der Arten und der Gattungen haben“(M. Foucault. Archäologie des Wissens. S. 217)

In Zeiten einer -politischen, ökonomischen o.ä.- „Krise“(N. Luhmann)11, der die „Systemtheorie“ nicht mehr mit einer -Reduktion- auf „erstarrte“ Prinzipien o.ä. begegnen kann (noch will), ist, wenn keine „(kontrollierte) Reduktion von Komplexität“(ebd. S. 326) erreicht werden kann, die eine -Luhmann („Zweckbegriff und Systemrationalität“)- „Umdeutung der Bestandsproblematik in Zwecke“(ebd. S. 327) erlaubt, „Evidenz“(ebd.) teils nur unter „Krisendruck“(ebd.) möglich und teils nach der systemtheoretisch „legitimen“ Devise: „Abwarten und sehen“.(N. Luhmann. Zweckbegriff und Systemrationalität. S. 328) E.B.